Growing Pains: A Study of 30 Cases and a Review of the Literature (July/ August 2011)
von Pavone V et al.
Dieser Artikel aus der aktuellen Ausgabe erschien mir deshalb interessant, weil Wachstumsschmerzen eine kinderorthopädisch provokant erscheinende und für viele Kollegen unglaubwürdige Diagnose sind, mit der wir allerdings sehr häufig in unserem Arbeitsalltag konfrontiert werden. Zweifler begründen oft ihren Glauben an die Nichtexistenz dieses Krankheitsbildes mit fehlenden eindeutigen Diagnosekriterien, Wachstumsschmerzen lassen sich ebenso wenig bildgebend sichtbar machen und sind keine Erkrankung, die adhoc diagnostiziert werden kann. Oft bedarf es hier eines längeren Zeitraumes, um sich der Diagnose sicher zu sein. Und schließlich sind Wachstumsschmerzen ebenfalls aufgrund der häufigen leichtfertigen Anwendung unkundiger Kollegen in Verruf geraten.
Ziel der Studie war, die Diagnose des Wachstumsschmerzens anhand einer beobachteten Patientengruppe besser charakterisieren zu können. Es wurden 30 Kinder von 3 bis 14 Jahren über den Zeitraum eines Jahres untersucht. Einschlusskriterien waren wiederkehrende Beinschmerzen seit mehr als 3 Monaten. Selbstverständlich wurden sämtliche Differentialdiagnosen klinisch und laborchemisch ausgeschlossen. Röntgenbilder wurden nicht erforderlich, die Option hierfür bestand jedoch. Die Wachstumsschmerzen der untersuchten Kinder zeigten folgende Charakteristika: sie waren in allen Fällen am Nachmittag oder nachts vorhanden, meist in wöchentlicher Frequenz mit einer Dauer von 10 bis 30 Minuten, in 75% der Fälle waren die Schienbeine und Waden betroffen, beidseitig in 80% der Fälle. Fast 80% der Kinder erwachten oder weinten nachts. Eine Massage des betroffenen Körperteils linderte meistens die Schmerzen. Eine positive Familienanamnese gab es in 20% der Fälle. Nach einem Jahr klagte kein Kind der Studiengruppe mehr über Wachstumsschmerzen.
Die anschliessende Literaturrecherche dieses Artikels gibt einen kompakten Überblick: bisher konnte kein eindeutiger Mechanismus identifiziert werden, mit dem sich Wachstumsschmerzen erklären lassen. Es scheint allerdings eine Reihe verschiedener Faktoren zu geben, die für Wachstumsschmerzen verantwortlich sein könnten. Dazu zählen: Überlastung der Extremität in Zusammenhang mit verringerter Knochendichte und geringer Schmerzgrenze, Hypermobilität von Gelenken und Plattfüsse. Die plötzlich auftretenden nächtlichen Schmerzattacken lassen ebenfalls an eine vaskuläre Genese denken, ähnlich wie bei Migräne. Auch psychosoziale Faktoren, insbesondere familiärer Art scheinen eine Rolle zu spielen, ein Zusammenhang scheint hier auch wie bei anderen kindlichen Schmerzsyndromen zu bestehen.
Interessanterweise sind Wachstumsschmerzen nicht mit einem Wachstumsschub assoziiert, wie früher angenommen. Auch wenn Wachstumsschmerzen über mehrere Jahre anhalten können, ist damit zu rechnen, dass sie in der Adoleszenz verschwinden.
Die Autoren empfehlen ein abwartendes Verhalten ohne medikamentöse, mechanische oder prophylaktische Behandlung.
Der Begriff Wachstumsschmerz zeigt bereits, wie wenig wir über dieses Schmerzsyndrom wissen und wie hilflos diese Diagnose oftmals angewendet wird. Es wäre vermessen zu glauben, dass Wachstum als notwendiger Bestandteil jeden Lebens Schmerzen bereiten soll! Andererseits werden wir sehr häufig mit den charakteristischen Beschwerden bei Kindern konfrontiert. Es ist meines Erachtens sehr wichtig, eine rheumatoide Arthritis und Knochentumoren (insbesondere ein Osteoidosteom) auszuschliessen, die mit ähnlichen Symptomen einhergehen und oftmals längerer Zeit bedürfen, um diagnostiziert zu werden. Unsere Verantwortung verlangt, dass wir sehr vorsichtig mit der Diagnose Wachstumsschmerz umgehen, sie ist und bleibt eine Ausschlußdiagnose!
Beate Schnuck
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